Was bringt Pilgern?

Es gibt bei uns am Land eine ziemlich bekannte Pilgerstrecke. Sie führt vom kleinen Städtchen Amstetten in Niederösterreich zur Basilika Mariazell in der Steiermark. Zu Fuß sind das in eine Richtung, gemessen von meinem Elternhaus in Amstetten genau 76,8 Kilometer. Schon öfter bin ich da lang marschiert. Meistens in eine Richtung und mit einer Übernachtung nach etwa 50 Kilometern. Einmal alleine in eine Richtung, das war 2017. Und einmal hin und retour, gemeinsam mit meinem Papa – mit einer Übernachtung in Mariazell.

Letzteres war eine immense Herausforderung, denn mehr als 140 Kilometer einfach so dahinmarschieren, das ist schon was. Aber wir haben es geschafft. Als ich 2017 allein in eine Richtung ging, war das ebenfalls mega anstrengend. Damals rauchte ich noch wie ein Schlot, war komplett unsportlich und kam nur unter größten Schmerzen und tränenüberströmt am Ziel an. Dieses Jahr sollte alles anders werden. Seit jenem Marsch damals habe ich nicht mehr geraucht, ich laufe jeden Monat mehr als 100 Kilometer und bin generell ein wenig sportlicher.

Um 22 Uhr machte ich mich auf den Weg. Es war eine angenehm warme Nacht. Meine Ausrüstung war perfekt, von den Trekkingschuhen über den Trekkingrucksack mit Trinkblase bis hin zur Sportuhr und dem Lauflicht. Es ging flott dahin, die ersten 14 Kilometer hatte ich trotz Berg zwischendurch in unter 2 Stunden erledigt. Vom besagten Berg lief ich dann die nächsten 10 Kilometer mit einer Zeit von etwas mehr als 5 Minuten 30 pro Kilometer, was mir schon einen enormen Zeitvorteil verschaffte. Normalerweise rechnet man für Amstetten – Mariazell mit einer Gehzeit von ca. 17 bis 18 Stunden. Ich wollte es in unter 14 Stunden schaffen.

Und was soll ich sagen – nach genau 13 Stunden, pünktlich zum 11-Uhr-Läuten der Kirchenglocken stand ich vor der pinken Basilika in der Steiermark. Die Nettogehzeit betrug 12:33. Ich hatte nicht nur meine eigene Zielvorgabe bei weitem übertroffen, sondern erntete auch von meiner Familie und von meinen Freunden ungläubiges Staunen. Weite Teile der Strecke bin ich nämlich einfach gelaufen. Man glaubt gar nicht, wie entspannend ein wenig Joggen sein kann, wenn man zuvor 20 Kilometer gegangen ist. So stolz war ich auf mich wirklich selten. Es war anstrengend, aber irgendwie auch zauberhaft.

Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass ich es schaffen würde. Während des Weges habe ich mich dieses Mal nicht mit Gedankenwälzen beschäftigt. Im Gegenteil, ich kann nichtmal mehr sagen, worüber ich nachgedacht habe. Es fühlt sich an, als wäre ich in Trance unterwegs gewesen. Ich weiß noch, dass ich hin und wieder an meinen verstorbenen Hund gedacht habe, und an meine Tante. Tatsächlich in der Reihenfolge. Und dass mir der Anfang von „Nothing Else Matters“ nicht aus dem Kopf ging. Denn das übe ich derzeit ganz intensiv am Klavier. Aber sonst? Leere. Meditation. Viele Visualisierungen, meistens betrafen die aber auch nur die unmittelbar vor mir liegende Etappe des Weges. Ich habe nichtmal Musik oder Podcasts gehört. Darauf hatte ich irgendwie keine Lust.

Aber was bringt Pilgern? Ein paar Dinge habe ich gelernt, die will ich unbedingt als eine Art Lebensmotto in den Alltag mitnehmen. Zum Beispiel, dass man nicht den ganzen Weg sehen muss. Man muss das Ziel kennen und immer ein paar Meter vorausschauen. So funktioniert das mit der Motivation besser und man bleibt flexibler. Man vergeudet keine kostbare Zeit damit, Pläne zu machen, die man dann sowieso wieder verwerfen muss. Ich bin große Strecken des Weges im Dunkeln gegangen. Gesehen habe ich nur soweit, wie eben mein Licht gereicht hat. Das war aber sogar angenehem, vor allem, wenn die Etappe besonders lang und eintönig war oder ein besonders steiler Anstieg bevor stand.

Ich habe gelernt, dass es im Leben halt manchmal anstrengend ist und es Dinge gibt, die man halt einfach nicht tun will. Die man aber trotzdem tun muss. Und dann gibt’s halt nur eins: Augen zu und durch. Wer schneller ankommen will, muss manchmal einfach den Kopf senken, durchstarten und rennen. Eyes on the Prize, wie die Amerikaner so schön sagen.

Ich habe gelernt, dass man Dingen manchmal einfach eine andere Bedeutung geben muss. Trotz der guten Schuhe und speziellen Socken hatte ich nämlich ab ca. 50 Kilometern mit Blasen an den Füßen zu tun. Irgendwann habe ich aber bemerkt, wie toll unser Körper eigentlich ist. Macht der da einfach einen kleinen Polster hin, wenn was unangenehm reibt. Schlau ist der! Und wenn aus Blasen im Geiste kleine Wölkchen oder Pölsterchen werden, dann tun die auch gleich weniger weh. Mind over Matter, sag‘ ich da nur. Man kann auch denken „Shit, noch 10 Kilometer“ – oder einfach lächeln und denken: „10… 9… 8…“.

Ich habe gelernt, dass es egal ist, wie ein Körper aussieht. Hauptsache, er funktioniert. Selbst wenn ich meine Beine sicher nicht als irgendwie sehenswert bezeichnen würde, so mag ich sie jetzt trotzdem mehr. Denn die haben mich von A nach B gebracht, in einer ziemlich tollen Zeit und mit relativ wenig Protest. Sicher, am Ende war es Teamwork aus Hirn, Herz und Körper, aber den meisten Impact haben die Beine abbekommen.

Ich habe auch gelernt, dass man einfach umdrehen kann, wenn man mal wo falsch abbiegt. Und dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss.

Heute, drei Tage nach der Aktion, geht es mir gut, die Beine sind zwar noch immer etwas müde und die Muskeln hin und wieder hysterisch, aber schon jetzt bin ich sicher, dass ich nicht zum letzten Mal nach Mariazell unterwegs war. Und dann schaffe ich es in unter 12 Stunden – zumindest werde ich es versuchen. Auf den Burgenland Extrem im nächsten Jahr freue ich mich auch schon. Da lautet meine eigene Zielvorgabe jetzt: 50 km in unter 8 Stunden. Jetzt lege ich mich aber erst mal ein bisschen hin…

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