Regelmäßig verstoßen

Chaupadi ist frauenfeindlich. Chaupadi ist menschenverachtend. Chaupadi ist gefährlich. Chaupadi ist dumm. Chaupadi ist verboten. Chaupadi wird nach wie vor praktiziert.

Es handelt sich dabei um einen religiösen Brauch, dem Hindu-Frauen in Westnepal, z.B. im abgelegenen Achham District, unterworfen werden und der ihnen untersagt, am normalen Leben teilzuhaben, wenn sie ihre Periode haben. Das heißt aber nicht etwa, dass sich die Mädchen und Frauen dann mit einer Wärmeflasche auf die Couch fläzen, die Füße hochlegen und Schokolade essen. Im Gegenteil. Im absoluten Gegenteil. Hat eine Frau ihre Periode, wird sie als „unrein“ betrachtet. Sie wird dazu verdammt, diese Zeit außerhalb des Hauses zu verbringen. Meist in einer behelfsmäßigen Hütte oder einem Verschlag im Wald, in der Regel ohne Fenster. Als einziger Komfort hat ein kratziger Überwurf aus Jute zu dienen. Beim ersten Mal (Menarche) müssen die Mädchen zwischen 10 und 11 Tagen im Exil bleiben, danach so lange die Periode halt andauert. Oh, und auch nachdem sie ein Kind geboren haben, müssen die Frauen für einige Zeit raus aus dem Haus; inklusive Neugeborenem.

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(c) Reuters/Navesh Chitrakar

Die Männer glauben fest daran, dass die unreinen Frauen Unheil über ihre Familie bringen, wenn sie während ihrer Periode einen Mann berühren oder auch nur den Hof ihres Hauses betreten. Sie glauben, dass ihre Kuh nie wieder Milch gibt, wenn menstruierende Frauen Milch, Butter oder Joghurt essen. Beim Fleischkonsum folgt in ihren Augen quasi der Tod des Rindes auf den Fuße. Berührt sie einen Baum, wächst er nicht mehr. Zum Essen bekommen die verbannten Frauen daher ausschließlich Getrocknetes, Salz und Reis. Man muss sich das mal vorstellen… in einer Zeit, die für den Körper anstrengend ist, wo die Hormone durcheinander sind, man eventuell sogar Schmerzen hat und von Gelüsten auf Schoki mal gar nicht zu reden. In die Schule dürfen die Mädchen auch nicht, was sich natürlich langfristig auf die Bildung auswirkt und erst recht nicht zu verstärkter Aufklärung beiträgt. Im Grunde ist den Frauen während der Zeit ihrer Periode jede Art der Alltagshandlung verboten. Nicht einmal ein Bad dürfen sie nehmen. Dafür werden sie zu allerlei schwerer, körperlicher Arbeit eingeteilt.

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Schwere körperliche Arbeit

Kein Wunder, dass die Mädchen in Westnepal oft in Angst vor der Pubertät aufwachsen. Wer will schon regelmäßig ins Exil? Und das im schlimmsten Falle bis zu 40 Jahre lang? Abgesehen davon, dass die Praxis psychische und physische Qualen mit sich bringt, kann sie sogar tödlich sein. Erst Ende letzten Jahres wurden wieder Todesfälle von Mädchen bekannt, die sich ein Feuer entfacht haben, um sich zu wärmen (im Winter hat’s auch hier selten mehr als ein paar Grad über Null) und dann an der Rauchentwicklung gestorben sind. Es gibt Vergewaltigungen. Es gibt wilde Tiere im Wald. Unnötige Tode und unnötiges Leid, schließlich ist die Praxis seit 2005 de facto verboten. Was aber wenige Menschen daran hindert, sie weiter zu praktizieren. Die Frauen beschweren sich selten, sie leiden im Stillen. Und einige glauben den Schmarren selbst sogar.

Chaupadi ist Teil des Lebens. Aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, macht es mich wirklich wütend, weil ich jetzt weiß, dass nichts passieren wird

sagt zum Beispiel Dwarika Rawal, eine 26-jährige Sozialarbeiterin aus Bhageshwar, die als Mädchen selbst Chaupadi praktiziert hat. In ihrem Bezirk hat das Verbot Früchte getragen. Zwar schlafen die menstruierenden Frauen weiterhin nicht im Haus, sondern in einem Anbau, aber sie dürfen Milchprodukte essen und zur Schule gehen.

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Bis ins hohe Alter jeden Monat verbannt

Es sind Scham und Angst, die eine Praxis wie diese möglich machen. Scham und Angst vor etwas, das eine völlig normale und vor allem auch notwendige Körperfunktion ist. Mangelnde Aufklärung und das quasi Nicht-Vorhandensein von Hygieneprodukten tun das Ihrige dazu. Glücklicherweise setzen sich immer mehr Unternehmen (z.B. www.rubycup.com) und Privatpersonen (wie die 33-jährige Fotografin Poulomi Basu) dafür ein, Chaupadi so schnell wie möglich auch de facto abzuschaffen und die Awareness zu steigern. Sicher, wir haben auch in Europa noch viel zu tun, wenn es darum geht, Frauen und Mädchen einen gleichberechtigten Zugang zum Leben zu ermöglichen, kenne ich doch genügen muslimische Mädchen, die beispielsweise noch nie in den Spaß eines Schwimmbadbesuches gekommen sind. Warum ich aber dennoch diesen Beitrag geschrieben habe: Wir haben Social Media, wir haben Medien, wir haben die Möglichkeiten, einer Minderheit, die abgeschieden lebt und selten gehört wird, eine Stimme zu geben. Und das mache ich hiermit einfach mal.

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